Abbildung Schild Jobcenter

Abschaffung von Sanktionen bei Hartz IV-Bezug? Bundestag lehnt dies ab

In der Bundestagssitzung am 28.06.2018 wurden zwei Anträge, gestellt von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und von der Frakion Die Linke mehrheitlich abgelehnt. Der Diskussion im Plenum voraus ging eine Ausschusssitzung, auf der sich die Mehrheit der Sachverständigen für eine Abschaffung oder zumindest eine Entschärfung ausgesprochen hatte.

„Wir wollen Sanktionen nicht grundsätzlich abschaffen, aber es kann auch nicht alles so bleiben wie es ist.“

Dass eine Entschärfung teilweise notwendig ist, ist wohl auch Ansicht zumindest eines Teiles der Regierungskoalition. So sprach sich Dagmar Schmidt (SPD) dafür aus, dass der Posten „Unterkunft und Heizung“ von der Sanktionierung ausgenommen werde. Auch sollen die verschärften Regeln für unter 25-Jährige (U25) wieder abgeschafft werden. Das oben dargestellte Zitat ist aus der Rede von Schmidt.

Bundestagsparteien völlig unterschiedlicher Auffassung

Eine Zusammenfassung der Parteienmeinungen sind im Bericht zur Bundestagssitzung zu finden: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2018/kw26-de-hartz-iv-sanktionen/560332

Hintergrund: Zahlen der Bundesagentur für Arbeit

Die Jobcenter haben im Jahr 2017 Sanktionen gegen 952.840 Leistungsberechtigte ausgesprochen. Wie sich aus der Pressemitteilung der Bundesagentur für Arbeit ergibt, ist damit die Zahl der Leistungskürzungen im Vergleich zu 2016 um 13.700 gestiegen.

Gründe für die Sanktionen:

  • Mit 77 Prozent (733.800 Leistungsberechtigte) entfällt ein Großteil der Sanktionen auf Melde- bzw. Terminversäumnisse.
  • Gut 10 Prozent (98.860 Leistungsberechtigte) erhielten eine Leistungskürzung, weil sie sich weigerten, eine Arbeit oder eine Maßnahme aufzunehmen oder diese grundlos abgebrochen haben.
  • Bei fast 9 Prozent (83.380 Leistungsberechtigte ) wurden Pflichtverletzungen gegen die Eingliederungsvereinbarung sanktioniert.

Anhängiges Verfahren beim Bundesverfassungsgericht

Möglicherweise wird das Parlament bzw. der Bundesgesetzgeber durch das Bundesverfassungsgericht gezwungen, die bisherigen Sanktionsregelungen – zumindest im SGB II – zu ändern.

Unter dem Aktenzeichen 1 BvL 7/16 wird ein Verfahren geführt, das wohl noch in 2018 vom Bundesverfassungsgericht entschieden wird. Dem höchsten Gericht vorgelegt wurde die Frage, ob die Sanktionsregelungen in § 31a in Verbindung mit §§ 31 und 31b des SGB II mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatlichkeit) und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und mit Art. 12 GG vereinbar sind.

Mit dieser Vorlage stellte das Sozialgericht Gotha die Hartz IV-Sanktionen auf den Prüfstand. Es hatte Anfang August 2016 die Verfassungsmässigkeit der Sanktionsregeln gegen Arbeitsuchende im Bereich der Grundsicherung nach dem SGB II in Zweifel gezogen.

Dieser Sachverhalt liegt dem ausgesetzten Verfahren zugrunde: Der Kläger stand beim Jobcenter Erfurt im Leistungsbezug. Nachdem er zunächst ein Arbeitsangebot abgelehnt hatte, wurde ihm die Leistung um 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs monatlich gekürzt. Wegen einer weiteren Pflichtverletzung, der Kläger hatte gegen eine Eingliederungsvereinbarung verstoßen indem er einen Gutschein zur Erprobung bei einem Arbeitgeber nicht einlöste, verfügte das Jobcenter eine Minderung des Regelbedarfs um 60 Prozent. Dagegen beschritt der Kläger den Rechtsweg und reichte beim zuständigen Sozialgericht Gotha Anfechtungsklage ein. Zur Begründung hat er u.a. vorgetragen, dass eine Anwendung der Sanktionsregelungen des SGB II nicht in Betracht käme, da diese verfassungswidrig seien.

Die Richter des Sozialgerichts Gotha bezweifeln, dass § 31a i.V.m. §§ 31 und 31b SGB II mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist, weil sich das für die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums maßgebliche Arbeitslosengeld II auf Grund von Pflichtverletzungen um 30 bzw. 60 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person maßgebenden Regelbedarfs mindert bzw. bei weiteren Pflichtverletzungen vollständig entfällt. Das Bundesverfassungsgericht habe in der Vergangenheit immer wieder betont, dass die Garantie der Menschenwürde eine Sicherstellung des Existenzminimums im Einzelfall verlangt. Es sei nunmehr aufgefordert, darüber entscheiden, welchen Spielraum der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Grundrechte, insbesondere des Schutzes der Menschenwürde und des Sozialstaatsprinzips habe.