Verfahrenslotse

Mit dem Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen – KJSG vom 03.06.2021 (BGBl. I S. 1444) wurde zum 1.1.2024 der „Verfahrenslotse“ (§ 11b SGB VIII) eingeführt.

Was ist ein Verfahrenslotse?

Der Verfahrenslotse berät, unterstützt und begleitet junge Menschen im Alter von 0 bis 26 Jahren sowie deren Mütter, Väter, Personensorge- und Erziehungsberechtigte bei

  • ersten auftretenden Schwierigkeiten durch eine potenzielle (drohende) Behinderung des Kindes,
  • der Antragstellung und Wahrnehmung von Leistungen der Eingliederungshilfe,
  • der Erschließung weiterer möglicher Hilfen und Ansprüche.

Die Beratung und Unterstützung durch den Verfahrenslotsen kann dabei sowohl vor der Beantragung möglicher Hilfen als auch während bereits gewährter bzw. laufender Hilfen in Anspruch genommen werden.

Eine weitere Aufgabe des Verfahrenslotse ist die Unterstützung der Kommunen bei der Zusammenführung der Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen in ihre Zuständigkeit.

Rechtsanspruch und Kosten

Es besteht ein Rechtsanspruch auf eine unabhängige Beratung durch den Verfahrenslotsen. Das Beratungs- und Unterstützungsangebot des Verfahrenslotsen ist kostenfrei.

Überlegungen des Gesetzgebers zur Einführung eines Verfahrenslotsens

Junge Menschen mit (drohenden) Behinderungen und ihre Eltern oder Personensorge- und Erziehungsberechtigten stehen einem Sozialleistungssystem gegenüber, das durch eine Vielzahl von Leistungstatbeständen in unterschiedlichen Sozialgesetzen geprägt ist. Mit den im Bundesteilhabegesetzes (BTHG) getroffenen Regelungen zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Rehabilitationsträgern soll verhindert werden, dass Konflikte zwischen den Trägern der Kinder und Jugendhilfe und den Trägern der Eingliederungshilfe als Rehabilitationsträger bezüglich der Zuständigkeit für die Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe zulasten der Betroffenen gehen.

schwierige Zuständigkeitsbestimmung

Wenn sich die Bedarfe des Kindes oder Jugendlichen nicht eindeutig einer bestimmten Behinderung zuordnen lassen oder gleichzeitig auch erzieherische Bedarfe vorliegen, ist eine Zuständigkeitsbestimmung schwierig. Eine Orientierung in dem nach unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen gegliederten, komplexen Sozialleistungssystem stellt daher für Kinder und Jugendliche mit (drohenden) Behinderungen und ihre Familien, die ohnehin im Alltag große Herausforderungen zu bewältigen haben, eine zusätzliche Belastung dar, bei deren Bewältigung sie eines Unterstützungsangebots im Hinblick auf die Geltendmachung ihrer Rechte bzw. Leistungsansprüche und damit ihren Zugang zur Leistungsgewährung bedürfen.

Vertrauensprobleme und Schwellenängste

Leistungsberechtigte haben oftmals Schwierigkeiten, im gegliederten Sozialleistungssystem die richtige Behörde zu finden. Es besteht bereits eine Vielzahl gesetzlicher und untergesetzlicher Regelungen zur Lösung dieser Zuständigkeits- und Kompetenzkonflikte. Aus der Perspektive der Leistungsberechtigten sind diese aber oftmals schwer nachzuvollziehen. Ferner stehen auch Akzeptanz- und Vertrauensprobleme sowie Schwellenängste einer wirksamen Vermittlung von Leistungen entgegen.

Hürden überwinden

Durch die Etablierung der Funktion des Verfahrenslotsen zur Begleitung und Unterstützung bei der Geltendmachung von Ansprüchen auf Leistungen der Eingliederungshilfe sollen diese Hürden überwunden und junge Menschen mit (drohenden) Behinderungen und ihre Familien, die dieses Angebot der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch nehmen wollen, deutlich entlastet werden.

Erweiterter Beratungsanspruch

Der Anspruch auf einen Verfahrenslotsen erweitert den Beratungsanspruch nach § 10a Abs. 1 und Abs. 2 SGB VIII und nimmt auf die fachlichen und verfahrensrechtlichen Herausforderungen aus dem Bereich der Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX und § 35a SGB VIII besondere Rücksicht. Zugleich wird durch dessen Etablierung die Bedeutung und Verantwortlichkeit des örtlichen Trägers der Jugendhilfe für die Einleitung des Veränderungsprozesses hin zur sogenannten „Inklusiven Lösung“ herausgestellt und durch personelle Ressourcen unterstützt.

spezifische Adressatgruppe

Der Verfahrenslotse ist in Abgrenzung zu Beratungsangeboten anderer Sozialleistungssysteme explizit auf die Perspektive der Bedarfslagen von Kindern und Jugendlichen spezialisiert. Inhaltlich unterscheidet er sich somit von bestehenden Angeboten durch die spezifische Ausrichtung auf die Adressatengruppe „junge Menschen mit Behinderungen und ihre Familien“. Zudem ist es die Aufgabe des Lotsen, diese Adressatengruppe durch das gesamte Verfahren – vom Antrag bis zum Abschluss der Leistungsgewährung – zu begleiten und damit eine zeitnahe und auf den individuellen Bedarf abgestimmte Leistungsgewährung zu begünstigen. Eine solche Begleitung ist bisher nicht vorgesehen. Der Verfahrenslotse wird auf Wunsch der Leistungsberechtigten tätig. Gesetzliche Beratungs- und Unterstützungspflichten der Sozialleistungsträger bleiben unberührt.

Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz

Mit dem geplanten Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz soll die Funktion des Verfahrenslotsen auf Leistungen zur Teilhabe im Sinne von § 4 SGB IX insgesamt bezogen werden. Auch die Umterstützungsfunktion des Verfahrenslotsen für die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe wird bestärkt: Er soll die Weiterentwicklung einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe auf örtlicher Ebene insbesondere im Rahmen der Jugendhilfeplanung in Bezug auf die Gestaltung der Infrastruktur und Angebote vor Ort unterstützen.

Quellen: SOLEX, Stadt Wesseling, FOKUS-Sozialrecht, Bundestag

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