(Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 4. Juni 2019 – S 2 SO 184/18)
Der Fall
Ein Rentner- Ehepaar bezieht Altersrenten und ergänzend Grundsicherung im Alter. Sie bewohnen eine 62 qm große Wohnung für eine Bruttokaltmiete von 580 Euro. Die Klägerin ist gehbehindert und bewegt sich in der Wohnung mit Gehstock und Rollator fort. Bei ihr sind ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit) und B (Berechtigung für eine ständige Begleitung) festgestellt. Inzwischen wurde ihr ein Rollstuhl verordnet. Das Sozialamt wies die Kläger darauf hin, dass nach den von einem Institut vorgenommenen statistischen Erhebungen in ihrem Umfeld eine Bruttokaltmiete von 461 Euro angemessen sei und forderte sie auf, eine kostengünstigere Wohnung zu suchen. Zunächst übernahm er aber für mehrere Jahre die tatsächlichen Kosten. Ab Mitte 2017 übernahm das Sozialamt nur noch die von ihm für angemessen gehaltenen Kosten und bemängelte, das Rentnerpaar habe sich nicht ausreichend bemüht eine günstigere Wohnung zu finden. Die beiden wandten ein, sie würden gerne in eine behindertengerechte Wohnung umziehen. Solche existierten aber nicht zu dem vom Sozialamt genannten Mietpreis. Sie könnten auch nicht aus ihrer Gegend wegziehen, weil ihre Töchter eigens zugezogen seien, um sie pflegerisch zu unterstützen.
Das Sozialgericht gab den Klägern Recht und verurteilte das Sozialamt, die Unterkunftskosten weiterhin voll zu übernehmen. Zwar sei die Wohnung der Kläger nach den vorliegenden statistischen Erhebungen zu teuer. Den betagten Klägern sei es jedoch nachvollziehbar nicht möglich, ohne Hilfe eine entsprechende Wohnung zu finden. Hilfestellung, etwa in Form von Übernahme von Maklerkosten, hatte das Amt nicht angeboten. Auch sei zweifelhaft, ob eine günstigere Wohnung, die den angesichts der Gehbehinderung der Klägerin speziellen Erfordernissen entspreche, verfügbar sei.
Gesetzliche Grundlage
Nach § 35 SGB XII werden Bedarfe für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, sofern sie angemessen sind. Angemessen ist in der Regel eine Miete in der Höhe des öffentlichen Mietspiegels. Höhere Mietkosten muss das Sozialamt normalerweise nur längstens für 6 Monate übernehmen. Es sei denn, es ist diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten, eine Kostensenkung herbeizuführen. In jedem Fall kann es sich lohnen, alle individuellen Gründe aufzuführen, die gegen einen Wohnungswechsel sprechen.
Prüfungsschema
Zur Prüfung der einzelfallbezogenen Angemessenheit hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 7.11.2006 (Az. B 7b AS 18/06) ein dreistufiges Prüfungsschema aufgestellt:
- Prüfung der Wohnungsgröße:
Die Angemessenheit einer Unterkunft für die Leistungsberechtigten lässt sich nur beurteilen, wenn die konkrete Größe der Wohnung festgestellt wird. Hierbei wird für die Angemessenheit der Größe einer Wohnung auf die landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen Wohnungsbaus (Wohnraumförderungsgesetz) zurückzugreifen sein. - Prüfung des Wohnstandards:
Sodann ist der Wohnstandard festzustellen, wobei dem Leistungsberechtigten lediglich ein einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung zusteht. Als Vergleichsmaßstab ist dabei in erster Linie der Wohnungsstandard am konkreten Wohnort heranzuziehen. Ein Umzug in eine andere Wohngemeinde kommt im Regelfall nicht in Betracht. Im Rahmen der Berücksichtigung dieser Faktoren ist nach der sogenannten Produkttheorie nicht auf eine Bewertung der einzelnen Faktoren abzustellen.
Produkttheorie im engeren Sinne bedeutet, dass das Produkt aus der angemessene qm-Zahl mit dem Mietspiegelwert des jeweiligen Baujahres der Wohnung maßgeblich für die Angemessenheitsprüfung ist. Demnach kann ein Leistungsbezieher auch in einer größeren aber preiswerteren oder in einer kleineren aber pro qm teureren Wohnung wohnen, ohne dass die Übernahme der Unterkunftskosten versagt werden könnte.
Das Bundessozialgericht weitet dieses Gedanken aus. Demnach kommt es darauf an, dass das Produkt aus Wohnstandard / Wohnlage und Preis der Wohnung im Bereich der Angemessenheit liegt. - Prüfung des örtlichen Wohnungsmarktes:
Schließlich muss überprüft werden, ob nach der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes die Kläger tatsächlich auch die konkrete Möglichkeit haben, eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung anzumieten. Besteht eine solche konkrete Unterkunftsalternative nicht, sind die Aufwendungen für die tatsächlich gemietete Unterkunft als konkret angemessen anzusehen.
Diese zu Mietwohnungen entwickelten Grundsätze gelten auch, soweit Hilfebedürftige ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe bewohnen, das nicht als Vermögen berücksichtigt wird und daher den Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nicht von vornherein ausschließt. (Bundessozialgericht vom 2.7.2009 – B 14 AS 32/07 R).
Quellen: Pressemitteilung des Sozialgerichts Mannheim, SOLEX
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