Diskriminierung oder Neiddebatte?

Im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland forderte Stefanie Stoff-Ahnis, Stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV Spitzenverbandes, die Gleichbehandlung von gesetzlich und privat versicherten Patientinnen und Patienten bei der Terminvergabe bei niedergelassenen Ärzten. Auf einem Buchungsportal bekomme man als gesetzlich Versicherter einen Facharzttermin in 6 Wochen oder noch später angeboten. Als Privatpatient klappt es schon am nächsten Tag. Die Diskriminierung der gesetzlich Versicherten gegenüber Privatpatienten der Terminvergabe dürfe nicht länger hingenommen werden. 90 Prozent der Menschen in Deutschland seien gesetzlich versichert. Da sei es mehr als gerechtfertigt, dass es künftig bei der Terminvergabe zu 100 Prozent um die medizinische Notwendigkeit gehe und nicht darum, ob jemand GKV- oder PKV-versichert sei, so Stefanie Stoff-Ahnis.

Gesundheitsminister stimmt zu

Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat sich gegen eine „Diskriminierung“ gesetzlich Versicherter bei der Terminvergabe bei Ärzten und Kliniken gewandt. „Längere Wartezeiten für Kassenpatienten in Praxen und Krankenhäusern sind nicht weiter tragbar. Diese Diskriminierung muss schnellstmöglich enden“, sagte Lauterbach dem Tagesspiegel: „Jeder gesetzlich Versicherte muss genauso schnell behandelt werden wie ein Privatversicherter.“

Neiddebatte im Wahlkampf

Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) spricht dagegen von einer Neiddebatte im Wahlkampf. Die Wartezeiten auf Arzttermine seien tatsächlich ein Riesenproblem. Allerdings liege dies nicht an der Terminbevorzugung von Privatversicherten, sondern an den Defiziten des deutschen Gesundheitssystems insgesamt.

Die gesetzlichen Krankenkassen zahlten aufgrund der Budgetierung der ärztlichen Honorare je nach Fachrichtung bis zu 20 Prozent der für ihre Versicherten erbrachten Leistungen nicht. Unter diesen Bedingungen sei es absurd, mehr Termine für GKV-Versicherte zu fordern, sagte der KVN-Vorstandsvorsitzende. Denn ohne Privatpatienten würden auch die gesetzlich Versicherten schlechter behandelt werden. Schließlich entfielen vom Umsatz der niedergelassenen Ärzte über 23 Prozent auf Privatpatienten, obwohl sie nur 10 Prozent der Bevölkerung ausmachten.

Gesundheitsexperten befürworten grundlegende Reformen

Experten befürworten grundlegende Reformen im Gesundheitssystem, um eine hochwertige medizinische Versorgung langfristig bezahlbar zu halten. Als sinnvoll angesehen werden dazu auch Veränderungen in der Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung, wie eine Anhörung über einen Antrag (20/11427) der Gruppe Die Linke ergab. Die Sachverständigen äußerten sich in der Anhörung des Gesundheitsausschusses am 4. Dezember 2024 sowie in schriftlichen Stellungnahmen.

Durch das duale Krankenversicherungssystem entstehen nach Ansicht des Gesundheitsökonomen Stefan Greß von der Hochschule Fulda große Fehlanreize. Das Nebeneinander von Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung (GKV/PKV) führe nicht nur zu Verwerfungen auf der Finanzierungsseite. Vielmehr entstünden durch die unterschiedlichen Vergütungsmechanismen bei ambulant tätigen Haus- und Fachärzten Fehlanreize bei der gesundheitlichen Versorgung.

In der ambulanten Versorgung erhielten Ärzte für Privatversicherte eine doppelt so hohe Vergütung wie in der GKV. Zudem gebe es in der PKV keine Mengenbeschränkung. Das führe zu unterschiedlichen Wartezeiten für Patienten. Die Integration von gesetzlicher und privater Vollversicherung könne durch eine umfassende Versicherungspflicht zur GKV erreicht werden.

Quellen: GKV-Spitzenverband, Ärzte-Nachrichtendienst, Tagesspiegel, RND, Ärzte-Zeitung, Bundestag

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