Zwei Hände die eine Menschenmenge behüten

BTHG-Evaluation: Neuer leistungsberechtigter Personenkreis der Eingliederungshilfe

Der Abschlussbericht zu den rechtlichen Wirkungen im Fall der Umsetzung von Artikel 25a § 99 des Bundesteilhabegesetzes (ab 2023) auf den leistungsberechtigten Personenkreis der Eingliederungshilfe liegt vor. Er wurde als Unterrichtung durch den Bundestag veröffentlicht (Drucksache 19/4500).

Hintergrund der Untersuchung

Die mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) erfolgte Reform der Eingliederungshilfe (grundsätzlich zum 1.1.2020) soll auch eine Neudefinition des leistungsberechtigten Personenkreises umfassen.

Zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes war aber heillos umstritten, wie diese neue Legaldefinition aussehen soll.

Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung setzte die Zugehörigkeit zum leistungsberechtigten Personenkreis voraus, dass in mindestens 5 von 9 Lebensbereichen die Ausführung von Aktivitäten nicht ohne personelle oder technische Unterstützung möglich ist oder die Ausführung von Aktivitäten auch mit personaler oder technische Unterstützung in mindestens 3 dieser Lebensbereiche nicht möglich ist. Als Lebensbereiche wurden festgelegt:
(1) Lernen und Wissensanwendung,
(2) Allgemeine Aufgaben und Anforderungen,
(3) Kommunikation,
(4) Mobilität,
(5) Selbstversorgung,
(6) Häusliches Leben,
(7) Interpersonelle Interaktionen und Beziehungen,
(8) Bedeutende Lebensbereiche und
(9) Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerschaftliches Leben.

Während der Beratungen kam es diesbezüglich zu heftigen Auseinandersetzungen, so dass beschlossen wurde, hier zunächst eine Evaluierung und modellhafte Erprobung durchzuführen, die bis zum 31.12.2022 abgeschlossen sein soll; ab 01.01.2023 soll dann – als 4. Reformstufe des BTHG – eine neue Definition des leistungsberechtigten Personenkreises eingeführt werden.

Bis dahin erhalten Personen, die die Kriterien der derzeitigen Regelungen (§ 53 Abs. 1 und Abs. 2, §§ 1 bis 3 der Eingliederungshilfe-Verordnung) erfüllen, Leistungen der Eingliederungshilfe.

Evaluierung abgeschlossen

Wie vom Gesetzgeber gefordert und in Art. 25 Abs. 5 BTHG niedergelegt, fand die Untersuchung in den Jahren 2017 und 2018 statt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat die Arbeitsgemeinschaft ISG Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH sowie transfer – Unternehmen für soziale Innovation mit den Unterauftragnehmern Universität Kassel (Prof. Dr. Felix Welti) und Dr. med. Matthias Schmidt-Ohlemann mit dem Forschungsvorhaben „Rechtliche Wirkungen im Fall der Umsetzung von Artikel 25a § 99 BTHG (ab 2023) auf den leistungsberechtigten Personenkreis der Eingliederungshilfe“ beauftragt.

Als Forschungsfragen wurden festgelegt:

(1) Wie lassen sich die in § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB IX i. d. F. von Art. 25a BTHG enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe „in einer größeren Anzahl der Lebensbereiche“ und „in einer geringeren Anzahl der Lebensbereiche“
konkretisieren? Insbesondere soll geklärt werden, in welchen und in wie vielen Lebensbereichen nach der ICF nach § 99 Abs. 4 SGB IX i. d. F. von Art. 25a BTHG die Ausführung von Aktivitäten nur mit personeller oder technischer Unterstützung möglich und in wie vielen Fällen sie auch mit personeller
oder technischer Unterstützung nicht möglich ist. Es ist zu prüfen, bei welcher Konkretisierung der Anzahl der Lebensbereiche sich keine Veränderungen beim Personenkreis gegenüber der derzeit geltenden Rechtslage ergeben.

(2) In welchem Verhältnis steht die Anzahl der Lebensbereiche mit Unterstützungsbedarf zu dem Ausmaß der jeweiligen Einschränkungen? Diese Frage bezieht sich auf Art. 25 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BTHG in Verbindung
mit § 99 Abs. 1 Satz 3 SGB IX i. d. F. von Art. 25a BTHG, wonach mit zunehmender Anzahl der Lebensbereiche ein geringeres Maß der jeweiligen Einschränkung ausreichend ist, um zum leistungsberechtigten Personenkreis zu gehören. Das genannte Verhältnis von Anzahl der Lebensbereiche und Ausmaß der jeweiligen Einschränkungen ist zu konkretisieren.

(3) Welche Kriterien sind im Rahmen einer typisierenden Betrachtung der notwendigen personellen und technischen Unterstützungserfordernisse als spezifisch für die jeweiligen Arten der Behinderung anzusehen? Dies soll beantwortet werden, indem für einzelne Arten der Behinderung jeweils typische Unterstützungsbedarfe in bestimmten Lebensbereichen aufgezeigt werden.

(4) Welche Auswirkungen hat die in § 99 Abs. 1 SGB IX i. d. F. von Art. 25a BTHG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 SGB IX aufgenommene Erweiterung der Definition von Behinderung um die Formulierung „in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren“ auf den leistungsberechtigten Personenkreis?

(5) Welchen Stellenwert hat die ICF-Komponente „Körperfunktionen und -strukturen“ für die Definition? Es ist zu überprüfen, ob die Erweiterung der Bezugnahme auf die körperliche, seelische oder geistige Beeinträchtigung
einer Person um diese Bezugnahme auf die in der ICF benannten Störungsursachen zu einer Veränderung des leistungsberechtigten Personenkreises führen würde.

(6) Werden die zu Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben berechtigten Personen durch die Regelung von § 99 Abs. 6 SGB IX i. d. F. von Art. 25a BTHG erfasst? Dies betrifft Menschen, die wegen der Art und Schwere ihrer Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder erwerbsfähig im sozialversicherungsrechtlichen Sinne sind, gleichwohl aber in der Lage sind, wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen (§ 58 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Weiterhin ist zu untersuchen, ob es
durch diese Regelung zu Veränderungen des leistungsberechtigten Personenkreises kommt.

Die Ergebnisse liegen mit diesem Forschungsbericht nun vor und können in der Unterrichtung (Drucksache 19/4500) nachgelesen werden. Der Forschungsbericht

  • erläutert den Hintergrund des Forschungsvorhabens (Abschnitt 2),
  • berichtet über den Projektauftrag, die methodische Umsetzung und den Projektverlauf (Abschnitt 3),
  • präsentiert die Ergebnisse der Aktenanalyse (Abschnitt 4),
  • stellt die Ergebnisse der eigenen Interviews (Abschnitt 5) sowie ausgewählte Ergebnisse aus den Workshops zur Rechtsauslegung und -anwendung dar,
  • beantwortet die Untersuchungsergebnisse zu den Forschungsfragen,
  • stellt konzeptionelle Überlegungen zu Intention und Anwendungskontext der ICF vor (Abschnitt 8),
  • fasst die Untersuchungsergebnisse zusammen und kommentiert diese im Hinblick auf die zu beantwortenden Forschungsfragen (Abschnitt 9).

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