Gerichte und insbesondere Sozialgerichte müssen bei Hinweisen auf eine verständigungsgefährdende Schwerhörigkeit von Klägern von sich aus alles Zumutbare zur Umsetzung der Möglichkeiten eines umfassendes Anspruches auf rechtliches Gehör unternehmen, wollen sie sich später nicht dem Vorwurf einer Fürsorgpflichtverletzung aussetzen. Zu beachten ist hier insbesondere die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 3. Senat, Beschluss vom 28.09.2017 – B 3 KR 7/17 B).
Der Sachverhalt: Die an fortschreitender beidseitiger Schwerhörigkeit leidende Klägerin war vor dem LSG mit ihrer Klage auf Kostenerstattung für die Beschaffung digitaler Hörgeräte unterlegen. Nach Ansicht des Landessozialgerichts hatte sich die Klägerin von vornherein auf eine bestimmte Art der Kostenerstattung festgelegt. Wie sich aus ihren Angaben und denen ihres Ehemanns ergaben sei sie fest entschlossen gewesen, sich die begehrten Hörgeräte in jedem Fall selbst zu beschaffen. In der mündlichen Verhandlung habe die Klägerin jedoch widersprüchlich und kaum nachvollziehbar vorgetragen.
Gegen das LSG legte die Klägerin Rechtsmittel in Form einer Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundessozialgericht ein. Sie rügte einen Verfahrensfehler und begründete dies wie folgt: Sie habe im Erörterungstermin und in der mündlichen Verhandlung ihr Hörsystem nicht nutzen dürfen, obwohl sie darum gebeten habe. Sie habe daher die an sie herangetragenen Fragestellungen nicht richtig verstanden, mehrfach nachfragen müssen und nicht so deutlich antworten können wie bei vollständigem Sprachverstehen. Deshalb habe sie – zu Unrecht – den Eindruck eines unsicheren bzw. widersprüchlichen Aussageverhaltens erweckt. Dies sei in die Würdigung ihrer Aussage durch das Berufungsgericht eingeflossen.
Die Entscheidung des BSG: Nach Auffassung des BSG hat das LSG den gesetzlich verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör und damit auch die Fürsorgepflicht des Gerichts verletzt. § 186 Gerichtsverfassunggesetz (GVG) regelt ausdrücklich die Rechte von sprach- und hörbehinderten Menschen. Diese Grundsätze hat das LSG nicht eingehalten. Nach § 186 Abs. 1 Satz 3 GVG wäre das Gericht verpflichtet gewesen, die Klägerin von sich aus darauf hinzuweisen, dass ihr ein Wahlrecht zustand, ob die Verhandlung mündlich, schriftlich oder mit Hilfe einer die Verständigung ermöglichenden Person erfolgen solle. Darüberhinaus hätte das LSG die für eine mündliche Verständigung geeigneten technischen Hilfsmittel bereitstellen müssen, sofern dies nicht nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich gewesen wäre (§ 186 Abs. 2 GVG).
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