Ein Mensch mit Behinderung, der im Rahmen einer ambulanten 24-Stunden-Betreuung in häuslicher Umgebung versorgt wird, hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten in voller Höhe durch den Sozialhilfeträger, wenn eine stationäre Versorgung im Einzelfall unzumutbar ist.
Dies hat das Sozialgericht Fulda am 7. März 2018 (Az. S 7 SO 73/16) entschieden.
Der Sachverhalt: Der 28 Jahre alte Kläger erlitt aufgrund eines Verkehrsunfalls im Jahr 2012 ein massives Schädelhirntrauma. Wegen der bestehenden Behinderungen erhält er Leistungen der Pflegeversicherung gemäß Pflegegrad 5 (bis zum 31.12.2016 Pflegestufe III). Der festgestellte Grad der Behinderung beträgt 100, die Merkzeichen G, aG, H und RF sind zuerkannt. Er bewohnt eine Erdgeschosswohnung in einem kleinen Ort mit rund 500 Einwohnern, der zum Landkreis Fulda gehört. Seine Mutter lebt in einer Einliegerwohnung in demselben Haus. Im März 2014 stellte der Kläger beim beklagten Landkreis zum ersten Mal einen Antrag auf Leistungen in Form der Hilfe zur Pflege und von Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (Eingliederungshilfe) als Persönliches Budget für eine ambulante 24-Stunden-Pflege in Höhe von über 13.000 Euro monatlich. Der Beklagte bewilligte in der Folgezeit Leistungen der Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe in Höhe von 4.800 Euro monatlich. Er begründete seine Entscheidung damit, dass eine Unterbringung in der rund 20 km entfernt gelegenen stationären Einrichtung unter Berücksichtigung der persönlichen, familiären und örtlichen Umständen grundsätzlich zumutbar und die ambulante Versorgung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sei. Die stationäre Einrichtung stelle die Pflege, Betreuung und Therapie von Menschen mit schweren Hirnschädigungen sicher, und es würden gut ausgestattete Therapieräume zur Verfügung stehen. Der Landkreis sei verpflichtet, die aus allgemeinen Steuermitteln finanzierte Sozialhilfe sparsam zu verwenden. Außerdem gelte der Grundsatz des Nachranges der Sozialhilfe.
Die Entscheidung des SG Fulda: Nach Auffassung des Sozialgerichts hatte der Kläger nach § 13 Abs. 1 SGB XII einen Anspruch auf ein Persönliches Budget für die ambulante 24-Stunden-Pflege in voller Höhe, weil die Versorgung in der stationären Einrichtung für ihn unzumutbar war. Zu berücksichtigen sei insbesondere die sehr intensive Beziehung des Klägers zu seiner Mutter. Ein Umzug hätte erhebliche negative Auswirkungen auf die psychische Stabilität des Klägers nach sich gezogen. Das familiäre Bedürfnis des Klägers bestehe gerade in der engen Beziehung zur Mutter und sei durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt. Gegen eine stationäre Versorgung spreche nicht zuletzt der Umstand, dass der Kläger im häuslichen Umfeld dauerhaft von vertrauten Personen betreut und versorgt würde, was im stationären Rahmen in der Intensität nicht möglich sei. Ohne ständige Anregungen und „Impulsgaben“ würden die in den vergangenen Jahren mit Unterstützung der Mutter erworbenen Fähigkeiten zum Stillstand kommen oder sich gar zurückbilden.
Letztendlich sei es auch Aufgabe der Sozialhilfe, ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und die Berechtigten so weit wie möglich zu befähigen, unabhängig von ihr zu leben. Dieses Ziel würde bei einer stationären Leistung nicht erreicht, da sich der gesamte pflegerische Zustand schon wegen der Personalsituation in der Einrichtung voraussichtlich verschlechtert hätte.
Zwischenzeitlich hat der beklagte Landkreis Berufung gegen dieses Urteil beim Hessischen Landessozialgericht eingereicht (anhängiges Verfahren, Az. L 4 SO 87/18).
Quelle: Pressemitteilung des Sozialgerichts Fulda; Volltextentscheidung auf www.sozialgerichtsbarkeit.de
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